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160 Gebote und 66 Rezepte, die keine sind

Lieber Herr Groth, was ist die Idee hinter Ihrem Buch "66 Gebote"?

Das Buch ist entstanden aus einem langjährigen Suchprozess, die soziologische Systemtheorie auf führungs- und beratungspraktische Aspekte hin zu kondensieren und aus der Idee, den „zehn Geboten systemischen Denkens“, die Fritz B. Simon in seiner „Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus“ beschrieben hat, weitere relevante hinzufügen.

In meinen systemischen Seminaren sind mir fortwährend weitere Gebote eingefallen, die ich über Jahre in einer Kladde gesammelt habe. Inzwischen bin ich bei ca. 160 Geboten, so dass auf dem Schreibtisch noch Ideen für zwei weitere Bücher liegen. 

 

Es ist also eine Fortsetzung des Buches geplant?

Ja. Eine Idee ist, das Format der 66 Gebote auf Familienunternehmen zu überführen. Also ein Buch über Management und Beratung in Familienunternehmen und Unternehmerfamilien zu schreiben. Und die zweite Idee wäre ein Teil 2 des aktuellen Buches, in dem ich mich mit spezielleren Organisationsfragestellungen wie z.B. Wandel, Strategie und Kultur beschäftige.

 

Wieso sind es genau 66 und nicht 44 oder 88 Gebote?

Das ist wie immer eine Mischung aus Zufall und Notwendigkeit plus einer ästhetischen Komponente. Der Zufall wollte es, dass ich Robert Stulle (Partner bei der Agentur Edenspiekermann, www.edenspiekermann.com) getroffen habe. Er brachte die Idee mit der Illustration der Gebote auf. Seitens des Verlags gab es die Komponente, dass 180 Seiten ein gutes Format für das Buch sei. Diesen Umfang habe ich dann auf meine Gebote plus Bilder, Einleitung und Anhang runter gerechnet. So kam ich auf etwa 60 bis 70 Gebote und fand dann 66 eine stimmige Zahl.   

 

Wieso überhaupt „Gebote“?

Es ist eine Art mitkommuniziertes Augenzwinkern. Es ist die Verkürzung auf einen Imperativ, der sich im gewissen Sinne selbst auflöst. Das Gebot ist eine Art Einladung zum Weiterdenken. Man koppelt sich fest an das Gebot, um dann lose weiter zu denken. Inspiriert wurde diese Vorgehen von Gregory Bateson, der die Unterscheidung festes und loses Denken geprägt hat.

 

Für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?

In erster Linie für mich mit dem Anspruch, die komplexen Theorien von Niklas Luhmann, besagtem Gregory Bateson, Heinz von Foerster und anderen wichtigen systemischen Vordenkern verständlich zu verdichten. Zudem sollen diejenigen, denen diese Theorien unbekannt sind, eingeladen werden sich damit zu beschäftigen und die relevanten Punkte auch gleich anwenden zu können.

Gleichzeitig sollen auch erfahrene Systemtheoretiker durch den Witz und die Verkürzung der Gebote am Ende vielleicht sagen: „Ach ja, so habe ich es noch gar nicht gesehen“ und das Buch in der Praxis als Leitfaden benutzen.

 

Was glauben Sie, warum es derzeit irgendwie Mode ist, systemische Bücher zu schreiben, systemisch zu führen, zu handeln und zu coachen?

In der Komplexität der Gesellschaft und der erlebten Unübersichtlichkeit gibt es eine große Sehnsucht und ein Interesse die Zusammenhänge zu verstehen. Dazu passt das systemische Verständnis bzw. das Versprechen, die Dinge systemisch zu betrachten, ganz gut.

 

Warum ist Ihr Buch anders als die anderen Management-Ratgeber?

Ich glaube, dass Management und Beratung immer mit der Frage zu tun haben Komplexität zu verstehen. Das Buch lädt Manager wie Berater dazu ein, grundlegende soziale Dynamiken in angemessener Komplexität lesen zu können. Der Trick ist, dass ich ein Rezeptwissen verspreche über die Gebote. Aber die Botschaft hinter den Geboten ist: 

Es gibt kein Rezeptwissen, Du musst die verworrenen Situationen, in denen Du Dich befindest, beschreiben und erklären können, um angemessen handeln zu können.  

 


"Es gibt kein Rezeptwissen. Du musst die verworrenen Situationen, (...), beschreiben und erklären können, um angemessen handeln zu können."


Was ist Ihr persönliches Lieblings-Gebot und warum?

Wenn ich hier unterscheiden soll, dann würde ich vielleicht die Nummer 20 wählen: "Achte auf die Eindämmung von Möglichkeitsüberschüssen"

Dahinter steckt die Frage von Hemmung und Enthemmung: Was hemmt die Leute daran auszubrechen und z. B. nackt um eine Kerze im Raum zu tanzen? Wieso laufen Kommunikationen nicht immerfort ins Uferlose? Systeme mit ihren Erwartungen verhindern fast alles und ermöglichen Weniges. Wer so heran geht, versteht soziale Systeme. 

 

Wem würden Sie die "66 Gebote" am liebsten auf den Nachttisch legen?

Ich wäre froh, wenn es eine Art Grundlagenwerk für alle Verantwortungsträger in Organisationen werden würde und sich die Verantwortlichen ab und zu an diese Prinzipien erinnern.

 

Was glauben Sie denn würde sich ändern, wenn z.B. in einem Familienunternehmen alle Führungskräfte den 66 Geboten folgen würden?

Hauptsächlich würde sich die Kommunikation in der Form ändern, also das die schnelle und enge Kopplung zwischen Problem und Problemlösung gelockert werden würde. Die Beteiligten würden sich wundern, dass die Verhältnisse viel komplizierter sind und sie würden versuchen diese angemessen zu beschreiben. Daraus ergeben sich wiederum andere Lösungen. 

 

Und wem würden Sie die Lektüre des Buches auf keinen Fall empfehlen?

Fachberatern und Personen, die ihre psychische Gesundheit an der Illusion festmachen, sie könnten ein Unternehmen steuern. 

 

Torsten Groth, vielen Dank für Ihre Zeit!