· 

Woran wollen Sie noch in 30 Jahren mit einem breiten Lächeln erinnert werden?

Photo by John-Mark Smith from Pexels
Photo by John-Mark Smith from Pexels

In diesem Jahr wollte ich ganz nostalgisch 12 Briefe an ganz verschiedene Menschen schreiben. Dabei musste ich feststellen, dass nicht nur der Brief bzw. die Postkarte mit Ausnahme von ganz wichtigen Ereignissen wie zum Beispiel für Geburt, Hochzeit, Tod nicht mehr präsent sind, sondern auch die (private) E-Mail zusehends kurz vor dem endgültigen Aus steht. Zu erkennen ist das unter anderem daran, dass in meinem alten privaten E-Mailpostfach mit vorehelichem Namen täglich fünf Werbemails herein flattern, und nur noch einmal im Quartal eine verirrte E-Mail, die nichts mit Werbung zu tun hat. Ich habe noch einen alten Yahoo-Account. Er ist eine Art Tagebuch der vergangenen 20 Jahre. Wenn ich mich nicht erinnere, wann ein bestimmter Urlaub stattgefunden hat, nutze ich die Suchfunktion meines E-Mail-Accounts und schmunzle über den Austausch, den ich über dieses Medium einst betrieben habe. Einen Account, den ich ca. 20 Jahre lang genutzt habe. 1999 gab es Yahoo gerade mal fünf Jahre, ich ging noch zur Schule und die Bedeutung des Internets fing gerade erst an sich mir (und dem Rest der Welt) zu erschließen. Bis dahin nutzte ich ganz klassisch das Telefon und die Post für die fernmündliche Kommunikation. Einige mir wichtige Briefe habe ich bis heute bewahrt. Für die Jahre 1999-2019 habe ich dank des E-Mail-Accounts ein Cloud-Tagebuch. Aber was kommt als Nächstes? Die Nachrichten, die via Sms, Facetime, Threema, etc. verschickt werden, speichere ich mir in der Regel nicht ab, Sprachnachrichten sowieso nicht. 

Was bleibt von der nächsten Dekade auSSER EINER TRillion unsortierter Fotos und Videos?

Photo by Sebastian Voortman from Pexels
Photo by Sebastian Voortman from Pexels

Das geschriebene Wort scheint an Wert zu verlieren, die Welt dreht sich hin zu Bild mit wenig Text (Instagram, Twitter) und zusätzlich zur zeitversetzten Audiokommunikation. Auch an den Marketingkanälen der Online-Dienstleister lassen sich diese Veränderungen erkennen: Was einst der Newsletter war, wurde schnell zum Video-Channel auf Youtube. Heute gehört neben einem guten „Insta-Kanal“ auch der eigene Podcast zum Aushängeschild der dargebotenen Online-Ware. Texte gibt es aufs Ohr, weniger aufs Auge. Somit kann man noch mehr konsumieren während man zum Beispiel ins Büro fährt, spazieren geht oder zu Hause die Wohnung putzt. Immer mit einer Stimme im Ohr. Nur nicht der eigenen. 

Stille Momente gehen verloren. Man kann immer wieder neue Nachrichten lesen oder hören, die nächste Folge der Netflix- Serie schauen, noch schnell ein Formular ausdrucken und schon mal den Termin vorbereiten, nach dem Wetter oder aktuellen Angeboten bei Ebay-Kleinanzeigen suchen. Instant-Shopping, News- und Streamingdienste sind wohl einer der größten Zeiträuber unserer Zeit. Als kleine ferngesteuerte Smartphone-Diener übersehen wir manchmal die Schönheit des Moments, den Genuss der Tasse Kaffee und spüren uns selbst nicht mehr. Echte Begrüßungen mit einem aufrichtigen Blick (geht in Virus-Zeiten auch ohne Händedruck) werden zu flüchtigen Momenten. Innehalten wird immer schwieriger. Deswegen auch allenthalben Achtsamkeitsrategeber, -magazine und -Podcasts. Damit beißt sich die medienkonsumierende Maus erneut in ihren Schwanz. Was also tun? 

I. Sammeln Sie Momente des „Gedanken-treiben-lassens“. Mindestens einen täglich. Damit wäre der alte Apfel-Tipp auch abgelöst durch: “One thoughtful moment a day keeps the shrink away.” 

II. Heben Sie mal wieder bewusst etwas auf, was Sie nicht (mehr) brauchen. Die Japanerin Marie Kondo sagt ja auch, dass man alles behalten darf, was einem Freude bereitet beim Anblick. Der Bierdeckel mit der Telefonnummer ihres jetzigen Ehemannes vom Karneval vor 5 Jahren, die ersten Söckchen Ihres Pubertieres, Ihre erste gekaufte CD, das Autogramm Ihres Teenie-Stars? – Alle diese Dinge gehören in die Kategorie: „Collect moments, not things“. Überlegen Sie mal, woran wollen Sie noch in 30 Jahren mit einem breiten Lächeln erinnert werden? Vielleicht müssen Sie dafür auch eines der vielen Fotos auf Ihrem Telefon ausdrucken. 

Photo by Suzy Hazelwood from Pexels
Photo by Suzy Hazelwood from Pexels

III. Schreiben Sie einen Brief an sich selbst im Jahr 2030, bitte auf schönem Papier, und verwahren sie ihn gut auf. Machen Sie sich selbst ein Geschenk aus dem Jahr 2020 mit all seinen Gefühlen, Gedanken und Erlebnissen - mit Etwas das bleibt.